Was ist eine psychische Gefährdungsbeurteilung?

Erstellt am 19.01.2024 aktualisiert am 19.01.2024
Dr. Simon Hahnzog
Psychologe Dr. Simon Hahnzog
Fachkompetenz: Psychologie

Definition: psychische Gefährdungsbeurteilung

Alle deutschen Unternehmen sind seit 01.01.2014 durch das Arbeitsschutzgesetz ausdrücklich dazu verpflichtet, die psychischen Belastungen ihrer Beschäftigten bei der Arbeit zu ermitteln, zu beurteilen und zu dokumentieren sowie entsprechende Arbeitsschutzmaßnahmen zu ergreifen (§3, §5 ArbSchG). Diesen Prozess nennt man „psychische Gefährdungsbeurteilung“.

Meine Meinung

Eine psychische Gefährdungsbeurteilung sehe ich als wesentliche strategische Möglichkeit, die Arbeit im Unternehmen so zu gestalten, dass alle so motiviert, gesund und glücklich wie möglich dort sein können. Damit die Gesundheit nicht nach dem Gießkannenprinzip gestärkt wird, ist es sehr sinnvoll, erstmal zu sehen, ob und wo der Schuh überhaupt drückt. Bevor eine neue Produktionslinie, ein neuer Betriebsstandort oder ein neues Produkt im Unternehmen realisiert wird, macht man ja auch erstmal eine Bedarfsanalyse und baut nicht einfach so drauflos. Und wenn Sie zum Arzt gehen, weil es irgendwo zwickt, fragt der Sie auch, wo, und drückt Ihnen nicht einfach nur eine Aspirin in die Hand. Ich kann daher nur alle Beteiligten auf allen Ebenen eines Unternehmens herzlich einladen, eine psychische Gefährdungsbeurteilung als wesentliche strategische Möglichkeit zu sehen, die Arbeit im Unternehmen so zu gestalten, dass alle so motiviert, gesund und glücklich wie möglich dort sein können.

Dr. Simon Hahnzog
Psychologe Dr. Simon Hahnzog
Fachkompetenz: Psychologie

Was ist eine psychische Gefährdungsbeurteilung?

Erkrankungen der Psyche sind keine Erfindung, wohl aber ein Zeichen unserer Zeit. Insbesondere die Anforderungen der heutigen Arbeitswelt beanspruchen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer weniger physisch, dafür umso mehr psychisch. Die Gesetzgeber reagieren auf diesen Prozess einerseits durch Fördermöglichkeiten für die Betroffenen und deren Arbeitgeber, andererseits durch die Verpflichtung aller Beteiligten zur Prävention vor weiteren Gesundheitsrisiken, wie etwa die gesetzliche Verpflichtung zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Arbeitsbelastung seit 2014 im Arbeitsschutzgesetz (§ 5 ArbSchG).

Was genau beinhaltet eine psychische Gefährdungsbeurteilung?

Arbeitgeber sind in Deutschland und in der EU in hohem Maße für die Gesundheit und Sicherheit ihrer Mitarbeiter*innen bei der Arbeit verantwortlich. Bei der psychischen Gefährdungsbeurteilung bedeutet dies insbesondere (vgl. ArbSchG, ArbStättV):

  • Der Arbeitgeber muss wirksame Arbeitsschutzmaßnahmen für jeden Tätigkeitsbereich umsetzen.
  • Der Arbeitgeber muss dafür die erforderlichen Mittel und die notwendige Organisation zur Verfügung stellen.
  • Wirksamkeitskontrolle: Die Maßnahmen müssen überprüft werden, ob sie auch vor der Gefährdung schützen.
  • Im Vordergrund stehen weniger individuelle Maßnahmen für einzelne Mitarbeiter*innen, sondern vielmehr solche, die die Rahmenbedingungen gestalten (Verhältnisprävention)
  • Die entscheidende Voraussetzung für die Arbeitsschutzmaßnahmen ist die fachgerechte Durchführung einer Beurteilung der psychischen Belastungen bei der Arbeit.

Bei all dem sind die Mitarbeiter*innen und insbesondere die Führungskräfte zur aktiven Mitwirkung und Gestaltung verpflichtet.

Es geht also bei der psychischen Gefährdungsbeurteilung nicht nur um die Bewertung der Arbeitssituation, wie der Begriff vermuten lässt. Sondern vor allem die Gestaltung von Arbeitsschutzmaßnahmen, die alle Mitarbeiter*innen den Umständen angemessen vor einer zu starken Beanspruchung der psychischen Gesundheit zu schützen.

Kritik am Begriff der psychischen Gefährdungsbeurteilung

Für mich ist der Begriff u201epsychische Gefährdungsbeurteilung“ eine Meisterleistung abschreckender, angsteinflößender Wortfindung. Das muss man erstmal schaffen, drei Begriffe, auf die keiner Lust hat, zu einem Konstrukt zu vereinen:

u201ePsyche“:
Als Psychologe weiß ich, wie groß das Tabu rund um diesen Begriff ist. Nein, ich analysiere nicht jede*n die/der mir gegenübersitzt. Nein, wenn man sich mit seiner Psyche beschäftigt landet man nicht gleich in der u201eKlapse“. Und ja, Psycholog*innen haben alle einen an der Waffel – aber das unterscheidet sie eben nicht von allen anderen Menschen, denn das zeichnet die Menschen nun mal aus – wir Psycholog*innen beschäftigen uns eben nur auch noch aktiv damit.

u201eGefährdung“:
Macht zwar vielleicht nicht ganz so viel Angst, wie eine u201eGefahr“ – ist aber auf jeden Fall auch nicht unbedingt etwas, womit man sich gerne beschäftigt.

u201eBeurteilung“:
Eigentlich ist man als Erwachsener heilfroh, dass man mit dem Ende von Schule, Ausbildung oder Studium aus dem ständigen u201eBeurteilt-Werdenu201d endlich raus ist. Kein Wunder, dass man mit diesem Begriff also nicht unbedingt Begeisterung hervorruft.

Diese drei Angst-Macher potenzieren sich hier also zu einem fiesen Wortungetüm, dass es mich gar nicht wundert, wenn es mit der psychischen Gefährdungsbeurteilung in deutschen Unternehmen nicht weit her ist. Noch dazu, weil viele Unternehmensverantwortliche erstmal befürchten, dass dann plötzlich die halbe Belegschaft ein Burnout hat, wenn man mal anfängt nach möglichen Belastungen zu fragen.

Diese albtraumhafte Wortschöpfung stammt nicht von mir – ich kann die Ablehnung dagegen aber eben durchaus verstehen. Deswegen will ich mit diesem Beitrag dafür eine Lanze brechen, worum es eigentlich geht:

Die Gesundheit aller Beteiligten bei der Arbeit bestmöglich zu schützen und im Idealfall sogar zu fördern.

Wer profitiert von einer psychischen Gefährdungsbeurteilung?

Einerseits profitieren Mitarbeiter*innen von einer psychischen Gefährdungsbeurteilung, da für sie konkrete Maßnahmen entwickelt werden, um potenziell krank machende Belastungen in der Arbeit zu reduzieren. Mithilfe der Informationen zu ihrer Arbeitsumgebung, die sie gemeinsam zusammentragen, können sie dies aktiv gestalten und verändern. Sie verstehen ihre eigene Beanspruchung besser und erhalten Vorschläge, was sie konkret tun können, um sich und die Gesundheit aller Beteiligten zu schützen. Wissen und Kompetenz, die ihnen auch im privaten Leben helfen kann.

Andererseits profitieren auch die Unternehmen von einer psychischen Gefährdungsbeurteilung. Denn gesunde Arbeitsgestaltung, gesunde Mitarbeiter*innen und gesunde Führung sind entscheidende Voraussetzungen für betriebswirtschaftliche Nachhaltigkeit. Wirksame Maßnahmen im Rahmen einer psychischen Gefährdungsbeurteilung führen beispielsweise dazu, dass doppelte Fehler vermieden, Kommunikation wirksamer, Prozesse effektiver und Arbeitsinhalte zielgerichteter gestaltet werden. Informationen kommen im richtigen Umfang dort an, wo sie gebraucht werden und die Zusammenarbeit zwischen Führungskräften und Mitarbeiter*innen wird produktiv und für alle Beteiligten zufriedenstellender. Dies und mehr unterstützt dabei, ein gesundes, prosperierendes Unternehmen zu gestalten und zu bewahren.

Quellen

  • BAuA – Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2014). Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung – Erfahrungen und Empfehlungen. Berlin: ESV.,
  • Glaser, J. & Herbig, B. (2012). Modelle der psychischen Belastung und Beanspruchung. In: E. Demerouti, A. Fergen, J. Glaser, B. Herbig, A. Hofmann F. Nachreimer, L. Packebusch & K. Seiler (Hrsg.). Psychische Belastung und Beanspruchung am Arbeitsplatz. Berlin: Beuth.
  • GDA – Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (2015). Leitlinie Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz. Verfügbar unter: http://www.gda-portal.de
  • Hahnzog, S. (2015). Psychische Gefährdungsbeurteilung – Impulse für den Mittelstand. Wiesbaden: Springer-Gabler., Hahnzog, S. (2018). Gesund und glücklich arbeiten – Gefährdungsbeurteilung psychischer Arbeitsbelastung. In: M. Pfannstiehl & H. Mehlich (Hrsg.). BGM – Ein Erfolgsfaktor für Unternehmen. Wiesbaden, Springer.

Fakten zu psychisch

In der modernen Arbeitswelt steigt die psychische Belastung. Wachsende Geschwindigkeit und Komplexität von Arbeitsprozessen, ständige Neuerungen, alternde Belegschaften und steigende Lebensarbeitszeit sind nur ein paar der zunehmenden Risiken, die die Arbeitsbelastung für jede*n Einzelne*n steigern.

In Deutschland ist eine psychische Gefährdungsbeurteilung für alle Unternehmen verpflichtend.

Ziel einer psychischen Gefährdungsbeurteilung ist die Sensibilisierung auf bestehende Risiken der Rahmenbedingungen in einem Unternehmen, aber auch von Resilienzpotenzialen und die Erarbeitung von konkreten Maßnahmen zur Reduktion der psychischen Gefährdung der Mitarbeiter*innen.

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