Was ist ein transgereationales Trauma?

Erstellt am 30.06.2024 aktualisiert am 09.11.2024
M.Sc. Petra Kammerlander-Jensen
Petra Kammerlander-Jensen
Fachkompetenz: Gesundheitsförderung und Prävention

Transgenerationales Trauma

Transgenerationales Trauma (oder intergenerationelles Trauma) beschreibt die Weitergabe von Traumata von einer Generation zur nächsten. Es bedeutet, dass schwere seelische Verletzungen oder belastende Erfahrungen, die Eltern oder Großeltern erlebt haben, ihre Kinder und Enkelkinder beeinflussen können – selbst wenn diese die traumatischen Ereignisse nicht selbst erlebt haben.

Trauma

Meine Meinung

Eigeninitiative als Chance für spätere Generationen

Ich finde es faszinierend und gleichzeitig bedrückend, wie stark wir durch die Erfahrungen unserer Vorfahren geprägt sind. Doch darin liegt auch Hoffnung: Wenn wir uns bewusst damit auseinandersetzen, können wir diese Muster erkennen und durchbrechen, um künftige Generationen zu entlasten.

Tipps

Offene Kommunikation und Therapie:

Eine der wichtigsten Maßnahmen, um transgenerationales Trauma zu heilen, ist das offene Gespräch innerhalb der Familie. Indem traumatische Erfahrungen anerkannt und verarbeitet werden, kann die unbewusste Weitergabe von Ängsten und negativen Verhaltensmustern unterbrochen werden. Auch eine psychotherapeutische Begleitung, wie Traumatherapie oder systemische Therapie, kann dabei helfen, traumatische Erlebnisse zu verstehen und zu überwinden.

Selbstfürsorge und Achtsamkeit:

Menschen, die von transgenerationalem Trauma betroffen sind, sollten lernen, auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten und achtsam mit sich selbst umzugehen. Meditation, Achtsamkeitsübungen und regelmäßige Reflexion über eigene Emotionen und Verhaltensmuster können dabei helfen, sich von den unbewussten Auswirkungen des Traumas zu befreien und gesunde Bewältigungsstrategien zu entwickeln.
M.Sc. Petra Kammerlander-Jensen
Petra Kammerlander-Jensen
Fachkompetenz: Gesundheitsförderung und Prävention

ngesprochenen Geschichten und Verhaltensmustern, die von einer Generation zur nächsten übermittelt werden. Nur durch Achtsamkeit und Offenheit können wir die Ketten der Vergangenheit lösen und eine heilsame Zukunft schaffen.

Wie funktioniert transgenerationales Trauma?

Das Konzept des transgenerationalen Traumas ist eng mit der Epigenetik verbunden, da traumatische Erlebnisse nicht nur psychologisch, sondern auch biologisch Spuren hinterlassen können, die an nachfolgende Generationen weitergegeben werden. Epigenetik beschäftigt sich mit der Frage, wie Umwelteinflüsse, wie beispielsweise Stress, Ernährung oder eben traumatische Erlebnisse, die Genexpression beeinflussen können, ohne die eigentliche DNA-Sequenz zu verändern.

Wie funktioniert das?

Traumatische Erfahrungen können chemische Markierungen (wie Methylgruppen) an der DNA hinterlassen, die die Aktivität bestimmter Gene verändern. Diese Markierungen können die Art und Weise beeinflussen, wie Gene „ein- oder ausgeschaltet“ werden, was wiederum Auswirkungen auf die Stressverarbeitung, Emotionen und das Verhalten hat.

Früher ging man davon aus, dass nur die genetische Information an die Nachkommen weitergegeben wird. Heute weiß man jedoch, dass auch epigenetische Veränderungen während der Entwicklung von Ei- und Samenzellen an die nächste Generation übertragen werden können. Kinder und Enkelkinder von Menschen, die schwere Traumata erlebt haben (wie Überlebende des Holocaust oder Kriegsveteranen), können daher eine veränderte Stressantwort oder erhöhte Anfälligkeit für psychische Erkrankungen aufweisen.

Wie entsteht transgenerationales Trauma?

Traumatische Erfahrungen wie Krieg, Flucht oder Missbrauch hinterlassen nicht nur psychische, sondern auch biologische Spuren. Studien zeigen, dass extreme Belastungen die Genexpression (die Aktivität bestimmter Gene) verändern können, ohne die DNA selbst zu verändern. Diese epigenetischen Veränderungen können vererbt werden und die Stressverarbeitung sowie die Anfälligkeit für psychische Erkrankungen bei Nachkommen beeinflussen. So könnten beispielsweise Nachfahren von Holocaust-Überlebenden eine erhöhte Stresssensitivität aufweisen, obwohl sie selbst diese Ereignisse nicht erlebt haben.

Eltern, die traumatisiert wurden, können ihre unbewältigten Ängste und Unsicherheiten auf ihre Kinder projizieren. Dies geschieht oft unbewusst durch übermäßigen Schutz, emotionale Distanz oder unvorhersehbare Reaktionen, die Kinder stark verunsichern können. So wächst die nächste Generation in einem Umfeld auf, das von Ängsten oder einem Mangel an emotionaler Stabilität geprägt ist, was sie wiederum in ihren eigenen Beziehungen beeinflussen kann.

Traumatische Erlebnisse werden in vielen Familien nicht offen thematisiert, oft aus Scham, Schuld oder dem Bedürfnis, die Vergangenheit zu verdrängen. Dieses Schweigen erzeugt jedoch eine unausgesprochene Spannung, die Kinder unbewusst spüren. Das Fehlen klarer Informationen über familiäre Traumata führt dazu, dass Kinder sich die Lücken selbst füllen, was häufig zu diffusen Ängsten oder Verhaltensmustern führt, die sie nicht vollständig verstehen. Dieser „unsichtbare“ Stress kann die emotionale und psychische Entwicklung der Nachkommen tiefgreifend beeinflussen.

Beispiele für transgenerationales Trauma

Nach dem Holocaust: Viele Kinder und Enkelkinder von Holocaust-Überlebenden berichten von Symptomen wie Depressionen, Angststörungen oder einem tief verwurzelten Gefühl der Schuld, obwohl sie die schrecklichen Ereignisse selbst nie erlebt haben. Diese Gefühle sind oft das Ergebnis von über Generationen hinweg weitergegebenen Ängsten und dem ständigen Gefühl einer Bedrohung. In vielen Fällen haben Überlebende ihre traumatischen Erlebnisse nie vollständig verarbeitet oder offen darüber gesprochen, was bei ihren Nachkommen zu einer diffusen emotionalen Belastung geführt hat. Die ständige Wachsamkeit und Sorge, die Holocaust-Überlebende als Überlebensmechanismus entwickelten, kann unbewusst auf die nächsten Generationen übertragen werden, was bei den Nachfahren zu einem überhöhten Sicherheitsbedürfnis oder einem Gefühl ständiger Gefahr führt.

Krieg und Flucht: Menschen, die Erfahrungen wie Krieg, Vertreibung oder Flucht durchgemacht haben, leben oft mit tief sitzenden Traumata, die ihre gesamte Lebenseinstellung prägen. Diese traumatischen Erlebnisse können über Generationen hinweg in Form von Ängsten, emotionaler Überfürsorglichkeit oder einem übermäßigen Bedürfnis nach Kontrolle weitergegeben werden. Kinder von Kriegsflüchtlingen oder Vertriebenen können so ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Sicherheit entwickeln, auch wenn sie selbst nie in einer gefährlichen Umgebung lebten. Sie spüren oft die unausgesprochenen Ängste ihrer Eltern, was sich in einem erhöhten Stresspegel oder einem Gefühl der Unruhe manifestieren kann.

Kolonialismus und Diskriminierung: Auch Nachfahren von Menschen, die Diskriminierung, Sklaverei oder koloniale Unterdrückung erlebten, tragen oft unbewusst die Bürde ihrer Vorfahren. Die psychologischen Narben dieser historischen Ungerechtigkeiten können sich über Generationen hinweg in Form von geringem Selbstwertgefühl, Misstrauen gegenüber Autoritäten oder einer tief verwurzelten Wut auf die Gesellschaft äußern. In vielen Gemeinschaften gibt es ein kollektives Gedächtnis der erlittenen Ungerechtigkeiten, das durch Erzählungen und kulturelle Praktiken weitergegeben wird. Selbst wenn direkte Diskriminierung heutzutage nicht mehr im selben Ausmaß stattfindet, tragen viele Nachfahren dennoch das Erbe von Traumata und Marginalisierung in sich, was sich in anhaltenden sozialen Ungleichheiten und psychischen Belastungen äußern kann.

Welche Auswirkungen kann es haben?

Transgenerationales Trauma kann sich auf verschiedene Weisen äußern, z. B.:

  • Psychische Störungen wie Depressionen, Angstzustände oder posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS)

  • Beziehungsschwierigkeiten, wie Bindungsängste oder emotionale Distanz

  • Unbewusste Verhaltensmuster, die dazu führen, dass dieselben traumatischen Erfahrungen über Generationen hinweg wiederholt werden

Wie kann transgenerationales Trauma überwunden werden?

  • Therapie: Besonders wirksam sind Traumatherapien, die nicht nur das individuelle Trauma, sondern auch die Familiengeschichte berücksichtigen. Methoden wie die systemische Therapie, EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) oder die Arbeit mit dem inneren Kind können helfen.

  • Offene Kommunikation: Das offene Sprechen über belastende Erfahrungen kann helfen, den „Schweigezyklus“ zu durchbrechen. Dies erleichtert es den Nachkommen, die Wurzeln ihrer eigenen Ängste oder Verhaltensweisen zu verstehen.

  • Selbstreflexion: Das Bewusstsein über mögliche transgenerationale Einflüsse kann der erste Schritt sein, um sich von ihnen zu lösen und eigene Verhaltensmuster zu ändern.

Quellen für weiteres Studium

Transgenerationales Trauma ist ein wissenschaftlich untersuchtes Phänomen, das in verschiedenen Studien und Fachartikeln dokumentiert wurde.

  1. Yehuda, R. & Bierer, L. M. (2009). "The relevance of epigenetics to PTSD: Implications for the DSM-V."
    Diese Studie untersucht, wie epigenetische Veränderungen bei Überlebenden des Holocaust zu veränderten Stressreaktionen bei ihren Kindern führten, obwohl diese die traumatischen Ereignisse selbst nicht erlebten.

  2. Kellermann, N. P. F. (2001). "Transmission of Holocaust trauma: An integrative view." Journal of Social Issues, 57(1), 177-195.
    Hier wird die Weitergabe von Traumata über Generationen hinweg durch familiäre Narrative und Verhalten beschrieben. Kellermann zeigt, wie traumatische Erfahrungen in Familien zu spezifischen Ängsten und Unsicherheiten bei Nachkommen führen.

  3. Van der Kolk, B. A. (2014). The Body Keeps the Score: Brain, Mind, and Body in the Healing of Trauma.
    Dieses Buch bietet eine tiefgehende Erklärung, wie Traumata im Körper und Geist verankert bleiben und über Generationen hinweg weitergegeben werden können.

  4. Schwerdtfeger, K. L., & Goff, B. S. N. (2007). "Intergenerational transmission of trauma: Exploring mother-infant prenatal attachment." Journal of Trauma & Dissociation, 8(1), 25-38.
    Diese Arbeit untersucht, wie Traumaerfahrungen der Eltern während der Schwangerschaft das emotionale Wohlbefinden ihrer Kinder beeinflussen können.

  5. Danieli, Y. (1998). International Handbook of Multigenerational Legacies of Trauma.
    Dieses umfassende Handbuch untersucht die Mechanismen der Weitergabe von Traumata und zeigt Beispiele aus verschiedenen Kulturen und Kontexten.

Fakten zu Trauma

Epigenetische Veränderungen:

Transgenerationales Trauma kann über Generationen hinweg weitergegeben werden, indem epigenetische Veränderungen in den Genen entstehen, die durch extreme Belastungen wie Krieg, Missbrauch oder Gewalt ausgelöst werden. Diese Veränderungen beeinflussen, wie Gene exprimiert werden, ohne die DNA-Sequenz selbst zu verändern, und können auf Nachkommen übertragen werden.

Weitergabe von Verhaltensmustern:

Traumatisierte Eltern neigen dazu, ihre eigenen Ängste, Unsicherheiten und unbewältigten Traumata unbewusst an ihre Kinder weiterzugeben. Dies kann in Form von übermäßiger Fürsorge, Misstrauen oder einem Mangel an emotionaler Nähe auftreten, was bei den Kindern zu psychischen Belastungen und Beziehungsproblemen führen kann.

Fehlende Kommunikation und familiäre Geheimnisse:

In vielen Familien werden traumatische Erfahrungen nicht offen thematisiert. Das Schweigen über das Trauma kann jedoch zu einer unausgesprochenen Belastung für die nachfolgenden Generationen werden, da Kinder instinktiv die unausgesprochenen Spannungen wahrnehmen und mit emotionalen Reaktionen auf das unbekannte Trauma reagieren.

FAQ zu Trauma

Transgenerationales Trauma bezeichnet die Weitergabe von traumatischen Erfahrungen und ihren Auswirkungen von einer Generation zur nächsten. Das bedeutet, dass Kinder und Enkelkinder die emotionalen, psychischen oder sogar biologischen Folgen von Traumata erleben können, die ihre Eltern oder Großeltern durchgemacht haben – etwa Krieg, Flucht, Missbrauch oder Diskriminierung.
Epigenetische Veränderungen: Traumatische Erlebnisse können die Genexpression verändern und so die Stressverarbeitung der Nachkommen beeinflussen. Verhaltensmuster: Eltern, die selbst traumatisiert wurden, können unbewusst Ängste oder Überfürsorglichkeit mit ihrem Verhalten an ihre Kinder weitergeben. Familiäre Schweigen und Narrative: Oft werden traumatische Erlebnisse in Familien nicht offen besprochen. Diese unausgesprochenen Geschichten erzeugen jedoch eine Atmosphäre von Angst oder Unsicherheit, die Kinder intuitiv aufnehmen und auf sich selbst beziehen, ohne genau zu verstehen, was passiert ist.