Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit erfasst die Verkaufszahlen von Pestiziden. An den Verkaufszahlen könnte man ablesen, dass es zu einer Reduktion des Pestizideinsatzes gekommen ist, wenn man annimmt, dass die Verkaufszahlen auch die Nutzungszahlen sind. Allerdings zeigt eine neue Studie von Lars Neumeister, dass es weitaus bessere Methoden gibt, um die Relevanz der ausgebrachten Pestizide zu bewerten als die reinen Verkaufszahlen. Denn relevant ist die Verringerung von negativen Folgen durch die Pestizidnutzung und die Intensität der Pestizidnutzung. Und zumindest für die Intensität des Pestizideinsatzes lässt sich sagen, dass sie bis 2017 stetig gestiegen ist.
Die Pestizidbelastung ist im Mittel nicht zurückgegangen und die Intensität der Pestizidnutzung steigt laut Behandlungsindex weiter. Wir müssen also nicht nur auf die verkauften Mengen, sondern auf die Intensität der Nutzung und die verstärkte Wirkung der Pestizide schauen.. Im Mittel der letzten 20 Jahre ist die Pestizidbelastung nicht zurückgegangen, sondern stabil geblieben. Und ob 2018 und 2019 wegen des Wetters Ausnahmen waren, bleibt abzuwarten. Es stimmt zwar, dass wir unter den Bauern ein höheres Bewusstsein haben und dass dies ein positives Signal ist. Allerdings verkennt die Studie der Bundesregierung, dass die Fläche für konventionellen Ackerbau stetig zurückgegangen ist. Die Bauern, die den Einsatz von Pestiziden nicht deutlich reduziert haben, nutzen die Wirkstoffe der Pestizide zum Teil noch stärker als früher. Anders ist nur schwerlich der steigende Behandlungsindex, der die Intensität der Pestizidnutzung angibt, in Zusammenhang mit relativ stabilen Pestizidverkaufszahlen zu erklären. Wir müssen also nicht nur auf die Mengen, sondern auf die Intensität der Nutzung und die Wirkung der Pestizide schauen.
Agrarministerin Julia Klöckner hat am 12.08.2020 mitgeteilt, dass 2019 die verkaufte Menge von Unkraut- und Schädlingsvernichtern im Vergleich zu 2018 um 6,7 Prozent gesunken ist. Laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) wurden 2019 insgesamt rund 27.000 Tonnen Pestizidwirkstoffe abgesetzt (ohne inerte Gase).
Damit verkündet die Regierung, dass die Nutzung von Pestiziden insgesamt zurückgegangen sei. Im Vergleich der letzten Jahre war es demnach der niedrigste Stand seit 20 Jahren.
Der Rückgang der verkauften Pestizide sei vor allem auf den Rückgang von Herbiziden (Unkrautvernichtungsmitteln) um 6,5 % und Fungiziden (Mittel gegen Pilzbefall) um 10 % zurückzuführen.
Bei Glyphosat betrug der Rückgang im Vorjahresvergleich 11,3 Prozent.
Interessant an der Äußerung der Ministerin ist, dass nicht auf die Wirkung, sondern auf den reinen Verkauf von Pestiziden abgestellt wird. Dabei hat Lars Neumeister als einer der führenden Experten zum Thema Pestizide eine neue Studie herausgebracht, die zeigt, dass die Intensität des Pestizideinsatzes pro Fläche stark angestiegen ist.
Auch die repräsentativen Daten des Julius Kühn-Instituts (JKI) zeigen keine Abkehr von der Pestizidabhängigkeit. Die Anzahl der Spritzungen war 2019 nur bei vier der neun wichtigsten Fruchtarten unbedeutend geringer und bei fünf Fruchtarten höher als 2018.
Die Jahre 2018 und 2019 waren ausgesprochene Dürrejahre. Wenn es weniger oder gar nicht regnet, gibt es weniger „Schimmel“pilze (pilzliche Erreger) und auch die Unkräuter wachsen viel schlechter. Bei Trockenheit verlieren viele Herbizide zudem ihre Wirkung. Schon allein deshalb wurde die Einsatzmengen reduziert. Mit politischen Erfolgen hat das nichts zu tun.
Julia Klöckner hat in ihrer Pressekonferenz am 12.08.2020 betont: “Ohne Pflanzenschutzmittel – das sag ich – wird es nicht funktionieren. Es geht aber darum, dass wir Pflanzenschutzmittel reduzieren, dass wir ihr Wirkgefüge auch immer wieder überprüfen.”
Die trockene Witterung, resistentere Pflanzen, technische Fortschritte und ein bewussterer Umgang mit Pflanzenschutzmitteln sind die wesentlichen Faktoren für den Rückgang des Pestizideinsatzes im Jahr 2020, sagt die Ministerin.
„Die Landwirtschaft ist im Dürresommer des vergangenen Jahres durch ein Tal der Tränen gegangen, (…), wenn durch die Trockenheit der Krankheitsdruck gering bleibt, behandeln Landwirte ihre Kulturen seltener“, sagte IVA-Präsident Dr. Helmut Schramm.
Der IVA redet nur von der Dürre als Grund für den Rückgang der Verkäufe und nicht vom “Fortschritt bei resistenten Sorten und Technik”.
In der Statistik wird nur der absolute Verkauf gemessen. Dieser Verkauf wird aber nicht in Relation gesetzt zu der Wirksamkeit der Wirkstoffe, deren Giftigkeit und der besprühten Fläche.
Es wird nicht auf den Behandlungsindex Bezug genommen. Der Behandlungsindex beschreibt die Intensität des Pestizideinsatzes. Dies wären die wichtigsten Daten, um den Pestizideinsatz in Deutschland bewerten zu können.
Zur Abbildung: Behandlungsindex Deutschland 2005-2017
Der Behandlungsindex des JKI zeigt keinen Abwärtstrend für 2019, wie Frau Klöckner ihn gern hätte. Aus den Zahlen lässt sich erkennen, dass die Behandlungsintensität zugenommen hat. Die von Frau Klöckner verkündeten Zahlen stellen die reale Situation auf den Feldern unzureichend dar. Den Nachweis, dass der Anbau resistenter Sorten in statistisch signifikantem Maße zugenommen hat, erbringt sie nicht.
Zudem geht es nicht pauschal um irgendeine Menge von Pestiziden, die verkauft oder ausgebracht wird. Entscheidend ist, ob die giftigen Wirksubstanzen, in ihrer gefährlichen Wirkung zurückgegangen sind.
Der sogenannte Toxic Load Indicator wurde in der Studie vom September 2020 zum Pestizideinsatz in Deutschland zwischen 2005 und 2017 von Lars Neumeister verwendet und ist ähnlich aufgebaut, wie auch andere Indikatoren, die es bereits in Dänemark gibt.
Der Toxic Load Indicator ist ein numerisches Rankingverfahren für Pestizidwirkstoffe. Er bietet einen schnellen und umfassenden Überblick über die wichtigsten Eigenschaften eines Wirkstoffes. Er wurde entwickelt, um im Rahmen von Reduktionsprogrammen Erfolge und Misserfolge besser sichtbar zu machen. Er ist ein qualitativ-numerischer Indikator und in Verbindung mit den Einsatzdaten (Wirkstoffmengen) ein stärkeres „Messinstrument“ als die Wirkstoffmenge allein. Wirkstoffe werden dabei nach ihrer Gefährlichkeit klassifiziert. Dabei unterscheidet man, ob ein Stoff für Säuger oder Tiere letal sein kann, oder ob durch den Stoff Mutationen entstehen können und ob der Stoff z.B. im Grundwasser die Umwelt belasten kann.
Zur Abbildung: Toxic Load Indicator von Lars Neumeister
Wer sich nach Pestiziden und ihren Einsatzmengen erkundigt, ist meist besorgt, was diese Mittel alles anrichten können und ob wir auf einem guten Weg sind. Wenn allerdings nur die Verkaufszahlen 2018 und 2019angesehen werden, dann entsteht der Eindruck, dass wir tendenziell auf einem guten Weg sind. Dabei wird aber nicht berücksichtigt, dass die Intensität der Pestizidnutzung pro Fläche zugenommen hat und der dramatische Verlust der Biodiversität nicht gestoppt wurde.
Die Zahlen der Bundesregierung vom Sommer 2020 sind für die eigentlich hinter der Frage nach den Einsatzmengen von Pestiziden liegende Besorgnis der Bürger nicht aussagekräftig..