Pestizide in der Luft
Ein Zusammenschluss von Experten aus dem Bereich Forschung über Pestizide und aus dem Bereich der nachhaltigen Landwirtschaft beantworten die wichtigsten 35 Fragen dazu wie Pestizide in die Luft gelangen, wie viele Pestizide es in der Luft gibt und ob Pflanzenschutzmittel gefährlich für die Gesundheit sind.

ausgewiesene Experten
geben Antworten zu Pestiziden in der Luft
Sind Pestizide in die Luft bedenklich?
Pestizide in der Luft! Wie kann das sein? Die Gefahren von Pestiziden in der Luft werden von einigen Experten als besonders problematisch betrachtet, da sie eine Umweltverschmutzung bedeuten, die nicht wahrgenommen wird. Nun sollte man die Kirche auch mal im Dorf lassen und klarstellen, dass es dabei immer auch um die Menge an Mitteln geht. Denn auch andere Stoffe können je nach Dosis zu einem Gift werden. Allerdings sind Pestizide explizit dafür entwickelt worden, um toxisch und damit giftig zu sein. Diese toxische Dosis ist für uns Menschen so gewählt, dass wir Lebensmittel, die mit Pestiziden hergestellt wurden, gefahrlos essen können.
Nun hat sich aber herausgestellt, dass Pestizide nicht dort bleiben, wo sie eigentlich sein sollten. Sie bleiben nicht auf dem Acker. Sie verteilen sich über die Luft. Die Gesundheitsrisiken sind umstritten, aber sowohl für die Umwelt als auch für die Bevölkerung setzen Pestizide eine Reihe von Risiken in Gang, die alle Gesundheitsschäden zur Folge haben können. Bisher ist man davon ausgegangen, dass vor allem Menschen betroffen sind, die in der Nähe der Flächen wohnen, wo Pestizide ausgebracht werden. Nun weiß man aber, dass Pestizide über weite Strecken verteilt werden und damit auch Menschen betroffen werden, die weit entfernt wohnen.
Warum werden Pestizide überhaupt eingesetzt?
Pestizide sind ein Mittel, um in der Landwirtschaft bei der Pflanzenproduktion, in der Tierhaltung, bei der Unkrautbekämpfung oder bei der Baumschutzpflege eine möglichst hohe Produktion zu erzeugen. Sie werden zur Verhinderung von Schädlingen, Krankheiten oder Ungleichgewichten vorwiegend auf Feldern, in Gewächshäusern oder in Obstplantagen verwendet. Immer mehr Studien weisen darauf hin, dass Pestizide in die Luft gelangen und so krebserregende Stoffe in die Atmosphäre gelangen können. Diese Stoffe können dann über weite Distanzen verteilt werden, was zu einer Gefahr für die die Gesundheit werden kann.
Der Einsatz von Pestiziden ist seit Jahrzehnten eine der Hauptursachen negativer Auswirkungen der Landwirtschaft. Die Landwirtschaft spielt bei globalen Problemen wie Klimakrise, Artensterben und Umweltzerstörung eine tragende Rolle.
Gleichzeitig ist die Landwirtschaft die Grundlage für unser Nahrungsmittel und spielt eine entscheidende Rolle für den Naturschutz, die Artenvielfalt und den Erhalt fruchtbarer Böden. In all dem spielt der Umgang mit Pestiziden eine entscheidende Rolle.
Wie kommen Pestizide in die Luft?
Die traditionelle Landwirtschaft wird mit Dutzenden von chemischen Düngern und Pestiziden versorgt. Diese Pestizide sollen die Nahrungsmittel schützen und doch sind sie in der Luft nachweisbar. Wie kann das sein? Die Pestizide gehören auf den Acker, doch an diese Vorgabe halten sich nicht alle Pestizide. Ein Teil der Pestizide wird während dem Ausbringen der Schädlingsbekämpfungsmittel von einem Windhauch erfasst und von der Luft weitergetragen. Ein anderer Teil verbindet sich mit Staubpartikeln und wird später vom Wind ergriffen und dann über weite Strecken getragen. So landen sie auf anderen Feldern, auf anderen Lebensmitteln und zum Teil auch mitten in unseren Städten. Abdrift ist der Fachbegriff dafür. Von dort gelangen sie zu Pflanzen, Tieren und uns Menschen, die nie das Ziel waren. Die chemischen Stoffe gelangen so auch in unsere Lungen. Dadurch könnten Pestizide in der Luft auch unsere Gesundheit belasten.
Sind Pestizide in der Luft außer Kontrolle?
Die Luftmessungen der TIEM-Studie (2020) haben ergeben, dass Deutschland flächendeckend mit PESTIZIDEN belastet ist. Darunter krebserregende und erbgutschädigende Substanzen. Wie gefährlich das für die Gesundheit der Bevölkerung ist, wird jetzt kontrovers diskutiert. Karl Bär ist Agrarreferent beim Umweltinstitut München und Mitherausgeber der Studie. Er ist der Meinung, dass die Pestizide nicht mehr unter Kontrolle sind. Denn wenn in 100% aller Staubsammler Glyphosat gefunden wird, dann kann man auch nicht davon ausgehen, dass wir diese Stoffe noch unter Kontrolle haben. Er ist daher dafür, dass insbesondere Glyphosat verboten wird.
Ganz anders sieht dies Peter Müller, Geschäftsführer der Agrarsparte von Bayer. (Glyphosat ist von Bayer.) Die in der Studie gefundenen Mengen seien viel zu niedrig, um schädlich zu sein. Insbesondere seien die Grenzwerte weit unterschritten. Herr Müller bezieht sich dabei auf den ADI-Grenzwert, der bestimmt, wie viel Pestizide in Nahrungsmittel sein dürfen, bis sie als gesundheitsschädlich gelten. Und wie bei allen Mitteln macht die Dosis das Gift.
Diesen Argumenten widerspricht der Experte für Toxikologie Dr. Peter Clausing. Denn der ADI-Grenzwert bestimmt verträgliche Mengen an Pestiziden in Nahrungsmitteln, nicht aber die Frage, welche Mengen an Pestiziden in der Luft für den Menschen unbedenklich sind. Denn mit der Atmung nehmen wir pro Stunde etwa 500 Liter Luft inkl. der darin enthaltenen Pestizide zu uns. Und über die Luftbläschen können manche Pestizide in unseren Körper aufgenommen werden. Wie hoch diese Mengen dann jeweils sind, wissen wir nicht. Es könnten sich aber über diesen Weg nicht unerhebliche Mengen im Körper anreichern. Entscheidend für die Beurteilung ist die Frage, wie diese Giftstoffe vom Körper abgebaut werden. Doch wir wissen noch nicht, ob die Abbauprozesse von Pestiziden, die über die Lunge aufgenommen werden ganz andere sind, als diejenigen, die über die Nahrung aufgenommen werden und über die Leber zum Teil wieder abgebaut werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass es den sogenannten Cocktail-Effekt gibt. Auf einem Feld wird vielleicht nur ein Pestizid ausgebracht. Aber über die Luft mischen sich die verschiedenen Pestizide und können ihre jeweilige Giftigkeit verändern. Wie diese unterschiedlichen Zusammensetzungen wirken, wissen wir nicht. Sie spielen bei den derzeitig festgelegten Grenzwerten auch keine Berücksichtigung. Ein methodisch schwerwiegender Fehler, so Dr. Peter Clausing.
Jetzt könnte man entgegnen, dass Gefahren durch Pestizide ständig beobachtet werden. Allerdings reicht hier schon der Blick in die Vergangenheit, um zu sehen, dass die Geschichte von Pestiziden immer auch mit Fehleinschätzungen einherging. DDT ist in den 50er- und 60er-Jahren als Wundermittel gepriesen worden. Erst in den 70er-Jahren wurde es als krebserregend verboten. Durch die sehr langen Abbauzeiten lässt sich DDT noch immer in der Luft, im Wasser und auf manchen unserer Lebensmittel nachweisen. Hinzu kommt, dass derzeit kein Monitoring von Pestiziden in der Luft stattfindet. Wir wissen also gar nicht, wie sich die Pestizide verteilen, wie sich die Konzentrationen verändern und wo sie von wem eingeatmet werden.
Pestizide in der Luft sind damit auch in geringen Mengen ein Risiko, das wir nicht einschätzen und damit auch nicht kontrollieren können.
Wer untersucht Pestizide in der Luft?
Der Kampf gegen Pestizide ist nicht neu. Wer würde sich nicht wünschen, einer zukünftigen Generation von jungen Menschen eine wertvolle biologische Vielfalt zu erhalten? Die Welt zu beschützen? Und so hat sich Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft mit dem Umweltinstitut München zusammengetan, um die Pestizidbelastung in der Luft zu untersuchen. Das Team von Aktivisten, Imkern, Forschern, Unternehmern und anderen Visionären setzen sich gemeinsam dafür ein, die Pestizide insgesamt zu reduzieren und sie zumindest auf den Äckern zu belassen, wo sie eingesetzt werden, um auf diese Weise die biologische Vielfalt zu beschützen.
Staatliche Stellen haben die Belastung durch Pestizide in der Luft bisher nicht systematisch untersucht. Im Jahr 2019 und 2020 gab es daher eine private Initiative, die eine Studie dazu in Auftrag gegeben hat. Diese gibt nun einen ersten Überblick dazu gibt, wo in Deutschland wie viele verschiedene Pestizide in der Luft zu finden sind. Es wurde das erste Mal an über 160 Orten Deutschlands Proben gesammelt und ausgewertet.
“Die Ergebnisse sind besorgniserregend.” so Bundesumweltministerin Svenja Schulze (29.09.2020)
Was sind die wichtigsten Ergebnisse der TIEM-Pestizid-Studie von 2020?
An 163 Standorten wurden Proben genommen.
- Es wurden 124 verschiedene Pestizidwirkstoffe sowie 14 Abbauprodukte von Pestiziden nachgewiesen.
- An rund drei Viertel aller Standorte wurden jeweils mindestens fünf und bis zu 34 Pestizidwirkstoffe sowie -abbauprodukte gefunden.
- Auch an Standorten, die weit entfernt von potenziellen Einsatzorten waren, konnten mehrere Pestizidwirkstoffe nachgewiesen werden.
- Selbst im Naturschutzgebiet und in Städten wurden Pestizide gefunden.
- 30 Prozent der nachgewiesenen Pestizidwirkstoffe waren in Deutschland zum Messzeitpunkt nicht mehr oder noch nie zugelassen.
Experten-Antworten
Hier werden unter anderem die folgenden Fragen beantwortet:
Regionale Messergebnisse
von Pestiziden in der Luft
Wie viele verschiedene Pestizidwirkstoffe lassen sich in den jeweiligen Städten und Regionen in Deutschland nachweisen? Hier werden einige Beispiele aufgeführt, welche Pestizide, wo in Deutschland gefunden wurden.
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Weitere Fragen zu Pestiziden in der Luft:
Was sind Forderungen, die sich aus der Studie ergeben?
Die Politik, die Verwaltungen und die Landwirtschaft wird aufgefordert, Gemeinden gegen Pestizideinsatz zu schützen und so die Gesundheit von Menschen, Tieren und Umwelt zu gewährleisten.
Es braucht weitere Studien, die die Wechselwirkung zwischen Pestiziden untereinander untersuchen. Die Folgen des sogenannten Pestizid-Cocktails sollen wissenschaftlich untersucht werden.
Und daraus abgeleitet braucht es neue Grenzwerte, die die Aufnahme von Pestiziden in der Luft und die spezifischen Abbauprozess berücksichtigen.
Wo findet man überall Rückstände von Pestiziden?
Bekannt war bisher, dass Pestizid-Rückstände sich in unserer Nahrung, in unserer Kleidung und sogar in Hygieneprodukten befinden. Doch atmen wir Pestizide auch ein? Behörden untersuchen dies nicht. Die TIEM-Pestizid-Studie belegt, dass sich Pestizidwirkstoffe überall in der Luft nachweisen lassen. Ob auf dem Land, in der Stadt oder selbst in Nationalparks.
Wird das Risiko durch Pestizide in der Luft unterschätzt?
Seit Langem wird über die Belastung von Böden, Gewässern und Nahrungsmitteln durch Pestizide diskutiert. Doch der Frage, ob wir über unsere Atemluft Schädlingsbekämpfungsmitteln ausgesetzt sind und dies eventuell unsere Gesundheit schädigt oder unser gesamtes Ökosystem durch giftige Spritzmittel durch eine ständige nachweisbare Pestizidbelastung geschädigt wird, wurde bisher nur unzureichend nachgegangen.
Was ist das Problem von Pestiziden für den betroffenen Acker?
Das Problem ist, dass Pestizide nicht nur die anvisierten Schädlinge töten, sondern auch Unschuldige. Diese Unschuldigen sind einerseits die Pflanzen, die durch das Ausbringen von Pestiziden dann dauerhaft Schaden davontragen können und vor allem Nützlinge. Also andere Insekten oder Pilze, die für die Pflanze nützlich sind. Dies sind zum Beispiel Insekten, die wiederum die Schädlinge dezimieren. Oder es sind Pilze, die den Boden mit neuen Nährstoffen anreichern.
Was ist die größte Gefahr durch Pestizide in der Luft?
Die TIEM-Pestizid-Studie zeigt, dass wir alle täglich einen unberechenbaren Chemie-Cocktail einatmen.
«Das Zulassungssystem der EU ignoriert diesen sogenannten Cocktaileffekt, durch den eine Kombination verschiedener Substanzen gefährlicher sein kann als der jeweilige Einzelwirkstoff», so kritisiert Bär vom Umweltinstitut München e.V..
Im Vergleich zu den einzelnen Wirkstoffen besteht im Gesamtbild eine erheblich höhere und über das Jahr andauernde Belastung, deren Folgen wir derzeit nicht abschätzen können, da es schlicht zu wenig Untersuchungen dazu gibt.
Verkürzt gesagt: 3 mal 3 ist 9 und nicht 6.
Lothar Aicher vom Schweizerischen Zentrum für Angewandte Humantoxikologie in Basel bestätigt, dass einige Studien belegen, dass Wirkungsmechanismen von Pflanzenschutzmitteln sich nicht nur aufsummieren, sondern gegenseitig verstärken können.
Ein Beispiel für diesen sogenannten Cocktaileffekt ist das Insektengift Thiacloprid, das zu den Neonicotinoiden zählt. Wenn es mit bestimmten Fungiziden (Ergosterol-Biosynthese-Inhibitoren) kombiniert wird, ist es für Honigbienen um mehrere Dutzend Mal giftiger als alleine.
Die Zusammensetzung des Pestizid-Cockatails ist oft verschieden und bisher gibt es zu wenige Untersuchungen, um verlässlich sagen zu können, was die jeweiligen Wirkungen sind. Und zudem wissen wir nicht, ab welcher Partikelgröße der Pestizide die Aufnahme der Pestizide über die Lunge gehemmt oder erschwert wird.
Gibt es Beispiele in denen Pestizide über die Luft verbreitet wurden und zu Schäden geführt haben?
Ein Fall z.B. führte 2008 im Rheinland zum Tod von Millionen Bienen und tausenden Bienenvölkern: Das Insektengift Clothianidin von Bayer wurde durch den Wind auf benachbarte Felder verfrachtet und tötete dort massenweise Bienen und andere Bestäuber.
Es ist also bekannt, dass Windabtrieb von Schädlingsbekämpfungsmitteln schwere Schäden in der Umwelt anrichten können.
Wer war der Auftraggeber der TIEM-Pestizid-Studie?
Auftraggeber der TIEM-Pestizidstudie waren gemeinsam das Umweltinstitut München e.V. und das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft.
Wie wurde die TIEM-Pestizid-Studie von 2020 durchgeführt?
In Südtirol hat die konventionelle Landwirtschaft in den letzten Jahren immer wieder auf Kritik reagiert und eine Lösung des Problems durch technische Maßnahmen versprochen. Pestizide sind dennoch über die Luft auf andere Felder und in die Atemluft gelangt. Die technischen Maßnahmen reichen nicht aus, um Abdrift zu verhindern.
Wie wurde die Pestizid-Vinschgau-Studie von 2018 durchgeführt?
Bei der Vinschgau-Studie wurde über eine Dauer von sieben Monate an vier Standorten insgesamt acht Passivsammler aufgestellt. Ehrenamtliche Helfer haben das Sammelmedium alle drei Wochen gewechselt und zur Analyse an ein Labor geschickt. Dadurch sind Ergebnisse miteinander vergleichbar und liefern einen Zeitablauf der Belastung. Von 29 verschiedenen Pestizidwirkstoffen, nach denen gesucht wurde, konnten 20 in den Sammelmedien nachgewiesen werden.
Was ist das Ergebnis der Vinschgau-Studie?
Es gibt im Vinschgau von Mitte März bis Ende August eine Dauerbelastung durch Pestizide.
Einige der Gifte werden kilometerweit durch die Luft getragen. Gesundheitsschädliche Mittel, die Krebs und Allergien auslösen können oder die Fruchtbarkeit schädigen wurden auch innerhalb von Ortschaften gefunden.
Es befinden sich immer unterschiedliche Mittel gleichzeitig in der Luft, die sich in ihrer Wirkung gegenseitig beeinflussen können.
Was war das aufsehenerregende bei der Vinschgau-Studie?
An vielen Standorten fand man Fluazinam, Captan, Phosmet, Chlorpyrifos-methyl, Dithianon und Imidacloprid. Imidacloprid gilt als extrem giftig für Bienen und andere Insekten, weshalb es seit 2019 nur noch in Gewächshäusern verwendet werden darf. Schon vier Nanogramm können eine Biete töten. Sechs weitere Wirkstoffe wurden bei der Vinschgau-Studie fast überall nachgewiesen, darunter Thiacloprid. Dieses Insektengift steht unter besonderer Beobachtung durch die EU-Kommission, weil es das menschliche Hormonsystem beeinflusst.
Was ist das wichtigste Ergebnis der Vinschgau-Studie?
Die Studie belegt, dass es nicht gut um unsere Luftqualität steht: An allen Standorten wurde eine Pestizid-Belastung nachgewiesen. Insgesamt 106 Substanzen in unterschiedlichen Kombinationen fanden die ForscherInnen. Neben derzeit häufig eingesetzten Ackergiften wie Glyphosat oder Pendimethalin finden sich auch Rückstände des seit Jahrzehnten verbotenen DDT in der Luft.
Was ist die Kritik an der TIEM-Pestizid-Studie?
Die Kritik bezieht sich auf die Menge der gefundenen einzelnen Pestizide. Diese sei in den meisten Fällen weit unter dem Grenzwert. Die Kritik kommt vor allem von Seiten der Chemischen Industrie und ihren Vertretern.
Die wichtigsten Fakten
- In fast allen Proben wurden Rückstände von mehreren Pestiziden gefunden. Es ist dabei egal, ob sich ein Standort auf dem Land, im Nationalpark oder in der Stadt befand.
- Das europäische Zulassungsverfahren bewertet Einzelstoffe in einem wissenschaftlich einfach zu fassenden Rahmen. Dadurch wird aber der sogenannte Cocktaileffekt und die Dauerbelastung durch Pestizide ausgeblendet. Das ist unrealistisch, denn de facto sind Mensch und Umwelt einer Vielzahl von Schadstoffen aus unterschiedlichen Quellen zugleich ausgesetzt und diese verschiedenen Faktoren wirken zusammen.
- Die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) geht davon aus, dass viele der gefundenen Pestizide nach der Anwendung allenfalls in vernachlässigbaren Mengen in die Luft übergehen und in der Atmosphäre unter dem Einfluss von Sonnenlicht schnell zerfallen. Dass dem nicht so ist, kann die neueste Studie von 2020 belegen.
- Weder in Deutschland, noch in Italien oder Österreich gibt es staatliche Programme zur systematischen Messung von Pestizid-Wirkstoffen in der Luft. Daher gibt es auch keine offiziellen Daten zu Pestiziden in der Luft.
- In Südtirol hat die konventionelle Landwirtschaft in den letzten Jahren immer wieder auf Kritik reagiert und eine Lösung des Problems durch technische Maßnahmen versprochen. Pestizide sind dennoch über die Luft auf andere Felder und in die Atemluft gelangt. Die technischen Maßnahmen reichen nicht aus, um Abdrift zu verhindern.
Meinung vom Experten
Dr. Niels Kohlschütter
Es ist Zeit, das Problem von Pestiziden in der Luft systematisch anzugehen. Weder das europäische Zulassungsverfahren für Pestizide noch die Anweisungen für die fachliche Praxis haben es geschafft, uns und unsere Umwelt ausreichend zu schützen. Die Politik muss den Abtrieb von Pestiziden als einen weiteren wesentlichen Faktor erkennen und in die Zulassungsverfahren einfließen lassen. Zudem muss die Anwendungspraxis geändert werden, um Abtrieb von Pestiziden nicht nur für angrenzende Felder zu reduzieren, sondern zu verhindern, dass wir diese Pestizide einatmen müssen. Und um die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Pestiziden und unserer Gesundheit besser beurteilen zu können, braucht es weitere Untersuchungen, die dann auch vom Staat finanziert werden sollten und nicht auf privaten Schultern ruhen sollten.